Samstag, 26. Juli 2008

ABC Festival - Poesie Cafe, Freitag, 18 Juli 2008

Armer Horst Thieme. Wochenlang bin ich ihm im Vorfeld des Auftritts im Rahmen des ABC-Festivals in den Ohren gelegen. Haben wir genug Zeit für einen Soundcheck? Ist auch ein Tontechniker da? Wenn's regnet - geplant war der Auftritt im Freien - kann ich dann meine technischen Geräte schnell in Sicherheit bringen? Auftrittsort sollte der Hof vor dem Zeughaus sein, das Poesie Cafe, zum dem Vertreter aus Augsburgs Slam-Szene eingeladen waren, sollte um 16.30 beginnen; davor eine weitere Veranstaltung, die um 15 Uhr beginnt.

Gott sei Dank regnete es, und die Veranstaltung fand im Filmsaal des Zeughauses statt. Ich trete nicht gern im Freien auf, auch wenn ich eigentlich noch keine schlechten Erfahrungen damit gemacht habe. Der Filmsaal ist ein verstecktes, offensichtlich viel zu wenig benutztes und bei vielen völlig unbekanntes kleines Kinosälchen. Nicht nur aufgrund seiner seltsamen Platzierung im Zeughaus erinnert es an ein Sexfilmkino für Aristokraten. Man steigt aus dem Aufzug, erwartet die Räumlichkeiten der früher hier angesiedelten Volkshochschule und betritt stattdessen ein edles, mit dunklem Holz getäfeltes Stockwerk. Irgendwo ist eine Tür offen, und dahinter verbirgt sich ein schmucker Kinosaal mit honigfarbenen, stoffüberzogenen Klappsesseln.

Horst hat nicht zu wenig versprochen - Tontechniker Markus ist schon da und kümmert sich wirklich bestens um alles. Auch erklärt er mir mein neues 590-Euro-Mischpult, das ich mitgebracht habe. Ich teile ihm mit, dass mein Mischpult zwei Extra-Aux hat. Ich weiß zwar nicht genau, was das bedeutet, aber ich gehe davon aus, dass man das Technikern gemeinhin erzählt, wenn man wo auftaucht; immerhin hat der Verkäufer ja auch gemeint, dass das sehr toll wäre, 2 Aux . Der Bluff funktioniert, und Markus weiß gleich damit etwas anzufangen und es zu berücksichtigen. Er stammt ja auch aus Auxburg. ;-) Und war mit Horst Thieme in der gleichen Schulklasse. Beide freuen sich sehr, als sie sich sehen.

Während des Soundchecks tauchen Gabriel Vetter und Jochen Schmidt auf, die gleich um 15 Uhr auftreten werden. Mit ihnen kommt Fernsehmoderator Armin Kratzert (Kulturmagazin "cappricio"). Schüchtern probiere ich gerade "L'Age d'Or" mit der Loopstation aus und Armin Kratzert schaut auf und rüber und ruft "Rock'n'Roll!".

Die Veranstaltung um 15 Uhr ist nicht gerade glänzend besucht. Vielleicht fünf Leute? Völlig unbeeindruckt ziehen Vetter, Schmidt und Kratzer ihr Ding durch. Armin Kratzert, alter Fernsehhase, hat eine sehr angenehme Art, Fragen zu stellen und Themen aufzuspüren. Völlig aus dem Bauch 'raus moderiert er durch die Lesungsbeiträge, kurzfristig ist er für die ursprünglich vorgesehene, nun ausgefallene Moderatorin eingesprungen.  Der Schweizer Spiralsteigerungsdichter Vetter spendiert mir vor der Veranstaltung eine Zigarette, Kontingenzblueser Jochen Schmidt erzählt auf der Bühne, dass er ja Autor sei, und nicht Fan der Wirklichkeit.

Um 16.30 Uhr, vor leicht mehr Publikum, geht die Veranstaltung mit den Augsburger Spoken Word Leuten los. Auch Andre Möbius, Songwriter-Veranstalter in der Bäckerei, und Freundin Mascha kommt, was mich sehr freut. André feiert heute sogar Geburtstag. Ich habe ihm eine DVD mitgebracht mit etwa 40.000 mp3s drauf,  Tage später erfahre ich, dass sich die DVD an seinem PC gar nicht öffnen lässt.

Die Veranstaltung startet mit mir und "Selbstportrait", später folgen sollen "L'Age d'Or", "Les Wasistis Tallesal" und, als Abschluss der Veranstaltung "Dieses, das da".Serkan Erol, der als erster nach mir dran kommt, ist jung und ernst und flicht melancholischen, türkischen Gesang ein, was mir sehr gut gefällt. Er ist jener, der mich mit einem freundlichen Zwischenruf auf der Bühne irritiert, als er sich den Text "Strategien" von mir wünscht. Ich bin so perplex, dass ich schnell etwas anderes spiele.

Winston Purple, der folgt, ist jung und wild und hat erst am Vormittag den ABC-Schülerslam gewonnen. Michael Friedrichs, Augsburger Slam-Urgestein mit schöner Lesestimme und einer seiner beliebteb Miniaturen folgt, dann kommt Rapper und Spoken Word Lyriker Stan Twersky, der in seinem Stück "Weg von, hin zu" für sein Alter erstaunlich klar und unpeinlich auf Inhalte setzt. Kollege Peter Knuhr, mit dem ich schon im Leipziger Hauptbahnhof Kaffee getrunken habe, liest seinen EC-Automatentext. Freestyler Grizu improvisiert sich über die Bühne und checkt dabei auch meinen SP 404-Sampler an, den er auch habe.

Der Sound ist toll, nur einmal muss sich eine Dame im Publikum bei mir die Ohren zu halten, weil es ihr etwas zu laut wird. Inzwischen passiert mir auch das, was Lydia Daher mir gegenüber mal als "auf der Bühne Autopilot schalten" bezeichnet hat: Ich bringe ein Stück, gehe von der Bühne, und sobald ich sitze, habe ich völlig vergessen, was ich da eigentlich gerade gemacht habe. Das einzige was ich beim Auftritt bewußt mitbekomme, sind die Fehler, die ich mache. Aber, hurra: Ich verkaufe 1 CD.

Horst Thieme und Michael Friedrichs haben ordentlich Bilder vom Auftritt gemacht, einige darf ich hier abbilden. Ein Bild zeigt, was ich sehr lustig finde, wie ich gerade mit den anderen nach dem Auftritt zusammen stehe und dabei dastehe wie ein Feuerwehrmann, der gerade einen ganzen Wald gelöscht hat und sich nun auf einen Leberkäswecken freut. Ganz nobel, mit dem Taxi, fahr ich meinen Technik-Fuhrpark nachhause. Beim Abbau vorher bleibt auch noch Zeit für ein Schwätzchen mit Zeughaus-Hausmeister, dem das, was wir hier gemacht haben, offensichtlich nicht ganz geheuer ist, der uns aber nach besten Kräften unterstützt und der sich freut, angeregt mit mir über Stuttgart und Oberkochen zu plaudern. Mein Dank geht an Horst Thieme, der sich geduldig meinen ganzen Technik-Extrawünschen und meiner Ist-auch-Zeit-für-den-Soundcheck-Phobie in therapeutischer Gelassenheit zugleich aber auch in verlässlicher Organisationskraft gewidmet hat.

Am nächsten Tag, ein Samstag, muss ich den freigenommenen Freitag nacharbeiten. So habe ich nur wenig Zeit, mit etwas Plaumenkuchen vom Bäcker Schubert bewaffnet, in meiner Arbeitspause kurz beim nächsten Poesie-Cafe am Samstag vorbeizuschauen. Dieses findet nun, aufgrund des sonnigen Wetters, wieder draußen statt, vor einem bezüglich der Sonneneinstrahlung recht leidensfähigem Publikum. Ein wenig bin ich nochmals froh, nicht "draußen"aufgetreten zu sein. Die Augsburger Autoren-Liga Tom Schulz, Jörg Adam, Theresa Klesper, Julia Krumme, Ibrahim Kaya und Dieter Walter müssen, so ein wenig wie bei Michaels Schanze "Kinderquatsch" auf einer Art Spielplatz-Landschaft aus flachen, weißen Blechbausteinen sitzen, bis Sie dran kommen und dann von Horst Thieme interviewt werden. Lieber im Aristo-Sexfilmkino auftreten!

Zwei Berichte über die Veranstaltung finden sich hier:

http://www.kulturnetzwerk-augsburg.org/?p=283#more-283

http://www.e-thieme.de/?p=400#more-400

Dienstag, 22. Juli 2008

Zur aktuellen Diskussion um die Augsburger "Popkommission"

Mit der Idee der Popkommission - oder genauer bzw. fairer: deren Einsetzung als Wahlkampfvehikel - wurde Pop in Augsburg ein Politikum. Ganz unversehens. Denn Pop reibt sich immer noch die Augen und wundert sich, wieviele Freunde, Fürsprecher, Tanten und Onkel er auf einmal hat. Und mittlerweile bemüht nun auch die Popkommission selbst einen akademischen, metapolitischen Überbau. "Endlich", könnten die "Popkommissions"-Kritiker fast rufen, die der Popkommission ja von Beginn an eine politische Unbesorgtheit nachsagten.

Was ist passiert? Warum schreibe ich nun auch etwas dazu? Auf einer ihrer Homepage vorgeschalteten Seite lässt die "Popkommission" nun den US-Ökonomen Richard Florida sprechen. Hinsichtlich Popkultur ist hier die betonte Rede von "existenzieller Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt". Musik- und Clubszene seien "weiche Standortfaktoren" mit "wirtschaftlichen Nebeneffekten". Plötzlich gibt Fuggerstädtischer Pop sich hier ganz monetär. Das klingt eher, als wolle man sich nochmals des Impetus' des Paten CSU rückversichern oder Wallstreet Broker von der Wertschöpfungskraft dreier Gitarrenakkorde überzeugen.

Letztlich aber schließt sich die Popkommission mit diesem ausgestelltem Gedankengut lediglich an die Worte des ehemaligen Wirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, an, welcher bereits 1997 bei der Eröffnung der "PopKomm"-Messe feststellte, dass Pop der "Schrittmacher der Innovation unserer Wirtschaft" sei. Wenn Clement das sagt, warum soll es die Popkommission 11 Jahre später nicht auch sagen dürfen? Trotzdem schwer zu glauben, dass das auf der Homepage Gesagte in Wortschatz und Motivation sich an die überwiegend jugendlichen Besucher der Internetseite wenden soll.

Sicher: Längst ist Popkultur keine Gegenkultur mehr - geschweige denn (r)eine Jugendkultur. Sie ist Breiten- und Massenkultur, deren Jugendlichkeit sich oft darin erschöpft oder besser: spiegelt, bräsiger Hochkultur mittels Ironie, alerter Frische und ihrer Hauptwaffe - nämlich vorrangig demokratischer Legitimiertheit - ein Bein zu stellen. Sie selbst wiederum ist längst durch das Feuilleton geadelt. Wahrscheinlich ist es dieser Sachverhalt, der es Mittdreissigern und noch Älteren erleichtert, in neu definierter Würde an der Jugendlichkeit von Pop festzuhalten.

Trotzdem befürchten die Gegner der Popkommission unter anderem eine vorauseilende Institutionalisierung, eine Vorverkrustung des Geistes von Jugendkultur. Jung sein heißt Autoritäten zu hinterfragen, mit gegebenen Strukturen nicht einverstanden sein, in Graswurzelrevolutionen zu denken. Das muss nicht immer richtig, noch weniger klug sein, zeichnet aber Jungsein aus, sonst könnte man ja als junger Mensch ja gleich ohne jeglichen Irrungen und Wirrungen, auch bekannt als erfüllter Lebensvollzug, direktemang in den Sarg steigen.

Viele Kritiker stören sich auch an dem als unvereinbar empfundenen Schulterschluss von aufrührerischer Jugendkultur und wertkonserativer CSU. Für viele ist die CSU per definitionem Anti-Pop. Jene Kritiker müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie auch dann "Verrat" gerufen hätten, wenn die Popkommission ein Wahlkampf-Vehikel der Grünen oder der Jusos gewesen wäre. Wer seine Kritik selbstgerecht am Parteibuch festmacht, gibt Jugendkultur dem Parteienleben preis, steckt sie gleichermaßen in Krawatte und Anzug.

Die Unterstützer der Popkommission sehen die Sache pragmatisch: Was ist falsch daran, die Popmusik-Szene einer Stadt zu fördern? Nichts, freilich. Nicht Pop wird institutionalisiert, sondern ihre Unterstützung. Verkrustungen sollen nicht entstehen, bestehende Diffusverkrustung soll durch Zentralisierung aufgebrochen werden. Was für die Befürworter allein zählt, ist die Stärkung der Augsburger Popkultur.

Und noch etwas ist durchaus wichtig im großen Augsburger Pop-Possenspiel: Das Personal der Popkommission speist sich aus der Musik- bzw. Musikveranstalter-Szene, das heißt, sie schreiben Populärkultur zunächst als Pop, im Sinne von Popmusik. Die Kommission, aber auch deren Kritiker, verwischen dabei, bewußt oder unbewußt, Begrifflichkeiten, indem sie das in "Popkommission" enthaltene Wort "Pop" auf die Kategorie "Populärkultur" ausdehnen. "Populärkultur" hört sich besser an, immerhin steckt das zwar leidlich strapazierte aber immer noch höchst diskursgängige Wort "Kultur" darinnen. (Wollte Augsburg nicht einst Euopäische Kulturhauptstadt werden? Ah - süße alte Wunde!) Außerdem ist Pop dann mehr als nur "Jugendkultur". Fürsprecher wie Gegner der Popkommission wissen diesen Sachverhalt ständiger Lavierungen für sich zu nutzen. Beide Fronten ist es dann fröhlichst möglich, dem Begriff Kultur ein weiteren Begriff, das Abstraktum "Wirtschaft" gegenüber zu stellen. Die Popkommission tut dies bedenklich affirmativ, ihre Gegner hingegen können sich derart in wohlfeiler Kapitalismuskritik sonnen.

Ich gehöre zu den Kritikern der "Popkommission". Und das in meinem Alter. 38. Überhaupt ist es bezeichnend, wie viele Leute in "meinem Alter" leidenschaftlich über Sinn und Unsinn der "Popkommission" diskutieren. Ich ziehe meine Rechtfertigung, mich am Diskurs mit einer Meinung zu beteiligen, daraus, dass nicht nur die Initiatoren sondern auch die Hinterfrager der "Popkommission" durchaus ältere Semester sind. Daran und an manch adulter Verkrampfung ist abzulesen, dass es auch um Definitionsmacht geht. Daraus leitet sich oftmals all zu schnell ein Recht auf Gestaltungsmacht ab. Was sagen eigentlich 16-Jährige, 20-Jährige zur Popkommission, zu Pop und CSU? Letztendlich der springende Punkt ist ja nicht, dass es die Popkommission (nun) gibt, sondern zu was sie bereit war, bevor sie es gab. Für die meisten wird in wenigen Jahren die Popkommission bzw. der Beauftragte etwas sein, das nun eben da ist, und das seinen Zweck erfüllen wird. In drei, vier Jahren wird Augsburg eine ganz neue Generation an Jugendlichen und Studenten zeitigen, die das Gegebene als Gegebenes hinnehmen wird und es ganz pragmatisch und wertfrei für sich nutzen wird. So erschütternd einfach ist das.

Ich habe mit keinem Mitglied der Popkommission ein persönliches Gespräch (über die PK) geführt, auch nicht mit Gribl oder Grab, die wenigsten kenne ich persönlich. Wahrnehmen kann ich nur, wie sie ihre Ideen als Medienfiguren bzw. -figuration lancieren und vertreten. Ich kann nur annehmen und hoffen, dass sie meine kritische Position, die sich eher grundsätzlich als denn lokalpolitisch, eher ästhetisch als pragmatisch, eher "moralisch" als ideologisch empfinden will, als so etwas ähnliches wie konstruktiv und sachlich (hin)nehmen.

Gut, dass "Pop" - oder wie viele es eben wollen: "Populärkultur" - in der Fuggerstadt ein Politikum geworden ist. Allerdings droht - mehr als deutlich - die Gefahr, dass Populärkultur von der Spaßbremse "Politik" vereinnahmt und, umgekehrt, Politik zum Pop-Phänomen degradiert wird. Auch im Wort Populismus steckt das Wort Pop. Fast amerikanische Zustände, könnten Zyniker sagen, oder besser: flüstern. Der zu besetzende "Beauftragte für Popkultur" wird Nahtstelle zwischen den zwei Systemen Pop und Politik sein. Eine Art Überwesen, ähnlich der Figur des Engels in Rainer Maria Rilkes "Duineser Elegien"; jener vermag es, zwei Bereiche, Leben und Tod, in sich zu vereinen. Er nun, der "Beauftragte für Popkultur" wird als kritisch zu beäugende, städtisch eingesetzte Definitionsmacht außerdem beweisen müssen, das die Schnittmenge von Populärkultur und Politik nicht Geld ist, sondern die lobbyfreie Ausgerichtetheit an generellem sozialem Bedürfnis.

Und: Die Glaubwürdigkeit der Popkommission samt "Beauftragten" wird sich daran messen lassen, ob Veranstaltungen auch jenseits von einigen Seiten unterstellten wirtschaftlichen Eigeninteressen und des professionellen Aktionsradius' der einzelnen Popkommissionsmitglieder unterstützt werden - und wie die Popkommission mit Kritikern umgeht, die eben zum Teil auch der popkulturellen Ebene entstammen und im neu entstandenen Machtgefälle innerhalb der Augsburger Pop- und Jugendkultur auf Stellung von Ressourcen angewiesen sein werden.