Freitag, 23. Mai 2008

23. Mai - Uni Augsburg, Hörsaal - Dt.-tschech. Austauschprogramm Augsburg-Budweis

Der Augsburger Lyriker und Kunstförderpreisträger Jörg Adam hat mich in einem Moment übergroßen Vertrauens zu einem Auftritt an der Augsburger Uni eingeladen. Mit Jörg zusammen habe ich 1999 eine dreiwöchige Lesetour durch Deutschland bestritten. 15 Lesungen in drei Wochen, von Konstanz bis Berlin, von Saarbrücken (dort tatsächlich mit Hardcore-Legende Lee Hollis) bis Frankfurt. Aus der Tour resultierten ein paar schöne und wertvolle Bekanntschaften und Freundschaften, unter anderem mit Henning Chadde oder Tobi Kirsch. Das bei den Lesungen verdiente Geld reichte damals immer so gerade für eine neue Tankfüllung, um in die nächste Stadt zu kommen und unterwegs an der Autobahnraststätte einen "Trucker-Teller" zu essen.

Jörg ist nicht Trucker geworden, er ist heute Wissenschaftlicher Assistent am Germanistik-Lehrstuhl an der Augsburger Uni. Die Belastungen aber müssen ähnlich sein, zumindest während der Organisation des deutsch-tschechischen Austauschprogramms zwischen Augsburg und Budweis.

Ungewohnt ist die Auftrittssituation in einem klassischen Uni-Hörsaal. Das habe ich bisher nur einmal gemacht. Während ein Unwetter aufzieht, transportieren wir meine Ausrüstung in die Uni. Eine Stunde aufbauen und Kabel legen und Stecker stöpseln, eine Stunde Soundcheck. Manchmal wünscht man sich die Zeiten zurück, als man einfach ein paar Blatt Papier dabei hatte und die dann einfach vorlas. Zu spät.

Dank dem, dass wir ausgiebig soundchecken konnten und Jörg eine kostenlose PA-Anlage herbeizauberte, ist der Sound prima. Lediglich die Zwischenstufe funktioniert nicht. Wir entscheiden, direkt in die Endstufe einzuspielen. Wir wissen beide nicht, was eine Zwischen- oder eine Endstufe ist, aber der tollkühne Plan klappt. Draußen beginnt es wild zu hageln, auf dem Dach über dem Hörsaal trommeln wuchtig kleine Eisenfäuste.

Der Auftritt findet vor circa 15 tschechichen Studentinnen und eine handvoll Augsburger Studenten statt. Während des Auftritts ist es für mich äußerßt rätselhaft zu erraten, wie das ganze ankommt. 15 tschechische Studentinnen starren mich mit offenem Mund an und verzweifeln an meinen fremdsprachigen Texten. Trotzdem ist es ein spürbar aufmerksames Publikum. Der Sound ist prima, nur ich erlaube mir ein paar ordentliche Schnitzer. Auch der Track "Etude blanche" muss 'ran, ich muss das Problemkind live nochmals ausprobieren - hier muss ich wirklich noch am Arrangement arbeiten. "L'age d'Or", performt mit der Loopstation, zeichnet sich immer mehr als schöner, dynamischer Live-Track ab, wenn auch mit kleinen Längen. Nach sehr langem gibt es auch wieder einmal vor Publikum "Les Wasistis Tallesal", zum Abschluss.


Da es zwischen den Stücken nach dem Applaus immer sehr still ist, beginne ich aus Nervosität zu fabulieren und höre mich irgendwann selbst sagen: "Eigentlich kann ich gar nichts."

Jörg macht Fotos. Leider ist kaum eins der Bilder ist brauchbar: Alle zeigen einen teletubby-förmigen, älteren Herr, der hinter einem Mikro seltsame Geräte bedient.

Ein schöner Auftritt, und mein Dank geht an Jörg Adam fürs geduldige Organisieren und an das Publikum, für das es vielleicht nicht ganz so schlimm war.

Sonntag, 18. Mai 2008

Hölderlin-Tagung in Bamberg

Ein Höhepunkt der abendländischen Kulturlandschaft: Die Hölderlin-Gesellschaft lädt vom 15. bis 18. Mai ein zu ihrer 31. Jahresversammlung in Bamberg.

Die Bamberger Uni ist eine Knarz-Uni, schön, altehrwürdig, mit knarzenden Holzböden. Teilnahme am Workshop "Hölderlins Leiden - Der poetische Prozess als Versuch der Selbstverständigung", gehalten von einem Bremer Psychotherapeuten, der allein anhand der schriftlichen Hinterlassenschaften eine Pathogenese nachzeichnet.

Auch Peter Härtling, der ehemalige Präsident der Hölderlin-Gesellschaft, ist da. Er fällt, nicht nur hier, immer wieder auf durch seine sehr menschlichen, aber in ihrer Klugheit und Scharfsicht mit dem oft kompetitiven Akademismus anderer Hölderlin-Experten mehr als mithaltenkönnenden Fragen und Anmerkungen. Was für ein netter, beeindruckender Mann. Der Psychotherapeut aus Bremen sieht exakt so aus, wie man sich einen Psychotherapeuten aus Bremen vorstellt. Silbernes Haar, Hornbrille, skalpellscharfer Geist, gestählt in der Analyse suizidaler Klienten.

Vor zwei Jahren traute ich mich, Peter Härtling beim Hölderlin-Treffen in Tübingen anzusprechen. Beweggrund war, dass ich über Umwege erfahren hatte, dass Peter Härtling in der Nachkriegszeit als Flüchtlingskind als erstes in ein Auffanglager in Wasseralfingen kam; Wasseralfingen, meine Geburtsstadt. Nein, er habe kaum noch Erinnerungen daran. Und: Nein, nochmals Wasseralfingen besuchen, das müsse nicht sein.

Überraschend treffe ich in Bamberg auf den Neu-Ulmer Lyriker Jörg Neugebauer, der schon ein Mal so nett war, einen Auftritt von mir im Hoffmann Keller zu besuchen; der auch die Tagung besucht (untergebracht in einem viel, viel teureren Hotel wie ich!) und mit dem ich in einer hübschen Stadt einige sehr angenehme, ergiebige Gespräche führe.

Montag, 12. Mai 2008

14. Betonbruch Festival, Heilbronn, 11. Mai 2008



Auf das Betonbruch-Festival habe ich mich ja ganz besonders gefreut. Mit Betonbruch und seinen Machern Tim und Jan Siebert (von der etwa seit 1926 bestehenden Band Krankheit der Jugend) sind viele schöne Erinnerungen verbunden. Und letztendlich war es eine Betonbruch-Veranstaltung, bei der ich meine allererste Lesung hatte. Das war in der Stadtbibliothek in Heilbronn, und wer weiß, ob ich heute wirklich das machen würde, was ich heute mache, wäre diese damals völlig unbekümmert geschenkte Starthilfe von Tim damals nicht gewesen.

Nun also das 14. Betonbruch-Festival; ich will ein, zwei neue Stücke ausprobieren und vor allem zum ersten Mal mit der Loopstation auftreten, mittels der ich mich live während des Auftritts selbst samplen und loopen kann. Außerdem ist es der erste Auftritt, bei dem ich, ohne Gerald, alles allein mache: Gitarre, Sampler, Loopstation.
Das Technikbild dazu ist deshalb interessant, ein Wust von Kabeln und Adaptern, rechts auf einer blauen Öltonne Mixer und Sampler, auf dem Boden vor mir die Tretminen der Loopstation und – weil es sich der Einsatz nur eines Mikrofons als tontechnisch schwierig erweist – zwei Mikros. Ich fühle mich weniger wie ein Spoken Word Lyriker sonder eher wie ein Kontroll-Ingenieur bei der NASA.

Eins ist schon vorher sicher: Trotz aller Freude aufs Betonbruch-Festival – so richtig mein Tag ist das nicht. Den Tag vor der Abfahrt bis in die Nacht hatte ich geprobt, und dabei auch mal kurzfristig manches etwas neu umarrangiert. Am Tag drauf stellt sich vor der Abfahrt heraus, dass aufgrund eines Virus‘ das Ausdrucken der Texte nicht mehr möglich ist: Drückt man auf „Print“, fährt einfach das Wordprogramm herunter. Schnell ein zweites Laptop organisiert. Dem fehlte aber der richtige Drucker-Treiber. Nachdem dies dann gelöst ist, stellt sich, was nicht fair ist, heraus, dass die Druckerpatrone leer ist. Nach einer Weile die rettende Idee: die Texte in dunkelblau ausdrucken. Es funktioniert. Völlig aufgerieben brechen wir nach Heilbronn auf, völlig aufgerieben kommen wir an.

Es ist schön, wieder mit Tim Siebert von Krankheit der Jugend zu plaudern. Seit langer, langer Zeit genehmige ich mir wieder ein paar Zigaretten. So muss das sein. Bei Alla Schnell, die so nett war, eine Übernachtungsgelegenheit bei ihren Eltern inklusive Grillparty zu stellen, kann ich meine noch mehr als wackligen Russischkenntnisse ausprobieren, denn, wie sich im Gespräch herausstellt, kommt sie aus Kasachstan.



Es ist schön, im vertrauten alten Mobilat zu sein. Ich fühle mich in dem Laden pudelwohl, eine wirklich tolle Location. Mit Jörg Adam machte ich bereits 1999 hier bereits Stopp auf unserer Lesetour.

Mein Auftritt ist im Obergeschoss des Heilbronner „Mobilat“, dort ist auch eine Ausstellung, im Untergeschoss spielen später Krankheit der Jugend und Pangea, im Hof steht als dritte Area neben dem Biergarten ein offenes Zelt, wo später Songwriter oder auch der großartige Andreas Grimm aus Stuttgart auftreten werden.

Vor mir spielen Die lebende Dosis aus Mannheim. Sie sind die Pink Floyd des Dadaismus‘, die AC/DC unbefangener Lebensfreude und gleichzeitig ultracharmante Besiegler des Untergangs des kulturellen Abendlandes. Scooter in der Musiktherapie. Gleichzeitig sind die Vier die freundlichsten Gesellen auf Gottes Erdboden. Mit Nudelpackung-Beats-gestützten Hits wie „Heirat‘ nicht (das Leben ist so schön)“ oder „Setzen Sie sich wieder richtig rum hin“ bringen sie ein zunächst kurzfristig konsterniertes, dann ihnen „Malle“-artig zu Füßen liegendes Publikum auf ihre Seite.

Nach Die lebende Dosis habe ich es mit meinem Zeug freilich nicht leicht. Befriedigt und erschöpft verlässt das zahlreiche Publikum das Stockwerk, und ich beginne mein Set vor einer mehr als überschaubaren Anzahl an Zuschauern. Jan steht mir vorher hilfreich beim Soundcheck zur Seite. Trotzdem gibt es beim Auftritt unvorhergesehene akustische Probleme, die es mir und dem Publikum schwer machen. Bei der Monitorbox sind die Höhen kaputt, als Folge höre ich mein eigenes Set entweder als Rumpeln oder manche Spuren oder Klänge gar nicht. Stattdessen streut es gehörig Geräusche von den Veranstaltungen im Hof draußen ein.

Mein Schicksal ist besiegelt, als Jan, der bis dahin saubere Arbeit geleistet hat und alle Probleme abfing, gehen muss, weil er selbst mit Krankheit der Jugend im unteren Stockwerk auftreten muss. Ein nicht ganz so der Mischtechnik holder Ersatzmann kommt stattdessen zum Einsatz. Pierre Gattinger, einer der Macher des Heilbronner Mobilat-Clubs wird mir später erzählen, dass der er neue Mann am Mischpult lieber mit dem Handy telefonierte, während ich mit Soundproblemen im Brummen und Feedbacken unterging:

Soundprobleme bei "Strategien":


Meine Gitarre geht beim Zupfen in ein aufbäumendes Brummen über, mich hört man gar nicht mehr und ich kann nicht mehr tun als während „Saugglockenarchiv“ hilfesuchend zum neuen Mischer zu schauen, der keinen Blockkontakt zur Bühne übt. Es bringt nix, ich schmeiße die leisen Tracks aus dem Programm und setze auf die Sampler-gestützten Sachen. Mit Todesverachtung ziehe ich mein Soundkatastrophen-Set vor einer handvoll Publikum durch.
Immerhin geht eine neue, sehr dynamische Version von „L’Age d’or“ per Loopstation über die Bühne, dazu eine Gabber-Version von „Land ohne Brot“.



Land ohne Brot - "Gabberversion":


Nach mir folgt der großartige Songwriter Marek aus Berlin mit seinem Projekt Spiegelreflex. Er beginnt mit einer ergreifenden Coverversion von „Loss Leader“ von Codeine. Marek spielt fragile, überirdisch-langsam strahlende Songs ganz in the vein of codeine und kaum einer, eigentlich niemand, hört zu. Nur der Sound ist besser. Beim Soundcheck vorher unterhielten Marek und ich uns kurz über die Band The White Birch die sich nach einem Codein-Album genannt hat. Von The White Birch gibt es auf ihrer MySpace-Seite eine tolle Coverversion von Prince‘ „Purple Rain“ zu hören).

Spiegelreflex: "Der nächste Streifen":


Marek hat mir erlaubt, seinen Song "Der nächste Streifen" in meinem Blog als Download einzustellen. Mehr auf der Spiegelreflex-Myspace-Seite.

Nach dem Auftritt zeigt sich die Anstrengung des heutigen und der letzten Tage. Ich bin sehr, sehr müde. Mir gelingt, noch ein paar Minuten von einem sehr überzeugenden Auftritt von
Krankheit der Jugend zu erhaschen. Danach kann ich mich kaum noch wachhalten. Wir brechen auf, tragen die Gerätschaften durch einen dichten Menschenpulk nach draußen. Wir übernachten bei meinem Bruder Reinhard. Ein dunkler Gott will, dass er sein Sport- und Kulturmanagement-Studium in Künzelsau ableistet. Mein Bruder ist der einzige Mensch, den ich kenne, der in Besitz einer Soundanlage mit integriertem Minidisc-Player ist.

Die Rückfahrt nach Künzelsau ist von Auftritts-Analyse und Selbstkritik geprägt. Ich bin nicht glücklich. Ein guter Auftritt war das nicht. Was mir auch nicht gefällt: Wenn ich alleine auftrete, muss ich so viele Parameter im Blick behalten und so viele Knöpfe drücken, dass mich das Publikum gar nicht mehr als Textsteller erlebt sondern eher als eine Art ständig an Knöpfen fiddelnder DJ. Auch gelingt es mir nicht mehr, Blickkontakt zum Publikum aufzubauen. Ich glaube, rein psychologisch steht nicht mehr der Text in der Mitte der Publikumswahrnehmung, sondern aufgrund meiner visuell eben nachverfolgbaren ständigen Live-Bedienung von Gerätschaften und Knöpfchen eher so eine Art undifferenzierte Gesamtperformance. Nein, das ist nicht das, was ich machen möchte. Hier muss sich noch etwas tun. Entweder ich brauche eine zweite Person, die mich – und das Publikum – von dem Live-Getriggere entlastet, oder ich muss einfach mehr üben, um eine Beiläufigkeit in das Bedienen der Apparatschaften zu bringen.

Auf der Rückfahrt, völlig übermüdet und in Post-Auftritts-Trance, überfällt mich, der ich hinten auf dem Autorücksitz mit durch die Nacht düse, ein kleiner Nostalgieflash. Mit Heilbronn sind so viele Erinnerungen auch an ganz früher verbunden, dass in meinem vom Schlaf wie mit Mullbinden umwickelten Kopf traumartige Erinnerungen an ausgerechnet meine Zivildienstzeit aufflackern. Damals auch im sogenannten „Patientenbegleitdienst“ im Aalener Krankenhaus eingesetzt, war es an der Tagesordnung, ständig in allen Krankenhausabteilungen anzurufen.

Vielleicht lag es auch daran, dass ich noch sehr jung war, aber es bereitete mir damals eine große Freude, immer wieder die selben Namensmeldungen durch den Telefonhörer branden zu hören, immer ausgesprochen in der der jeweilgen Person zu eignen Betonung. Klangketten, Rhythmen, Mantren. In der Isotopen-Abteilung meldeten sich in der Regel immer zwei Damen im Wechsel. „Glöck – Isoptopen?“ und: „Isotopen – Gaupp?“ Das helle Click des Glöcks und das bouncende, bassige Gaupp verweben sich mit dem rythmisch festen, durch durch seine Vokale vollen „Isotopen“ jetzt, hier im Auto unterwegs von Heilbronn nach Künzelsau, in meinem schläfrigen Kopf zu einem rhythmischen Lautgeflecht, Glöck, Isotopen, Isotopen, Gaupp. Mit jedem Klang blitzt ein Gesicht auf, das Mantra zerwirbelt die Erinnerungen in einen Klangcode. Völlig übermüdet, muss ich doch unwillkürlich lächeln.

Im Zimmer meines Bruders sehe ich vor dem Zubettgehen ein Foto meines vor wenigen Wochen verstorbenen Vaters.