Montag, 12. Mai 2008

14. Betonbruch Festival, Heilbronn, 11. Mai 2008



Auf das Betonbruch-Festival habe ich mich ja ganz besonders gefreut. Mit Betonbruch und seinen Machern Tim und Jan Siebert (von der etwa seit 1926 bestehenden Band Krankheit der Jugend) sind viele schöne Erinnerungen verbunden. Und letztendlich war es eine Betonbruch-Veranstaltung, bei der ich meine allererste Lesung hatte. Das war in der Stadtbibliothek in Heilbronn, und wer weiß, ob ich heute wirklich das machen würde, was ich heute mache, wäre diese damals völlig unbekümmert geschenkte Starthilfe von Tim damals nicht gewesen.

Nun also das 14. Betonbruch-Festival; ich will ein, zwei neue Stücke ausprobieren und vor allem zum ersten Mal mit der Loopstation auftreten, mittels der ich mich live während des Auftritts selbst samplen und loopen kann. Außerdem ist es der erste Auftritt, bei dem ich, ohne Gerald, alles allein mache: Gitarre, Sampler, Loopstation.
Das Technikbild dazu ist deshalb interessant, ein Wust von Kabeln und Adaptern, rechts auf einer blauen Öltonne Mixer und Sampler, auf dem Boden vor mir die Tretminen der Loopstation und – weil es sich der Einsatz nur eines Mikrofons als tontechnisch schwierig erweist – zwei Mikros. Ich fühle mich weniger wie ein Spoken Word Lyriker sonder eher wie ein Kontroll-Ingenieur bei der NASA.

Eins ist schon vorher sicher: Trotz aller Freude aufs Betonbruch-Festival – so richtig mein Tag ist das nicht. Den Tag vor der Abfahrt bis in die Nacht hatte ich geprobt, und dabei auch mal kurzfristig manches etwas neu umarrangiert. Am Tag drauf stellt sich vor der Abfahrt heraus, dass aufgrund eines Virus‘ das Ausdrucken der Texte nicht mehr möglich ist: Drückt man auf „Print“, fährt einfach das Wordprogramm herunter. Schnell ein zweites Laptop organisiert. Dem fehlte aber der richtige Drucker-Treiber. Nachdem dies dann gelöst ist, stellt sich, was nicht fair ist, heraus, dass die Druckerpatrone leer ist. Nach einer Weile die rettende Idee: die Texte in dunkelblau ausdrucken. Es funktioniert. Völlig aufgerieben brechen wir nach Heilbronn auf, völlig aufgerieben kommen wir an.

Es ist schön, wieder mit Tim Siebert von Krankheit der Jugend zu plaudern. Seit langer, langer Zeit genehmige ich mir wieder ein paar Zigaretten. So muss das sein. Bei Alla Schnell, die so nett war, eine Übernachtungsgelegenheit bei ihren Eltern inklusive Grillparty zu stellen, kann ich meine noch mehr als wackligen Russischkenntnisse ausprobieren, denn, wie sich im Gespräch herausstellt, kommt sie aus Kasachstan.



Es ist schön, im vertrauten alten Mobilat zu sein. Ich fühle mich in dem Laden pudelwohl, eine wirklich tolle Location. Mit Jörg Adam machte ich bereits 1999 hier bereits Stopp auf unserer Lesetour.

Mein Auftritt ist im Obergeschoss des Heilbronner „Mobilat“, dort ist auch eine Ausstellung, im Untergeschoss spielen später Krankheit der Jugend und Pangea, im Hof steht als dritte Area neben dem Biergarten ein offenes Zelt, wo später Songwriter oder auch der großartige Andreas Grimm aus Stuttgart auftreten werden.

Vor mir spielen Die lebende Dosis aus Mannheim. Sie sind die Pink Floyd des Dadaismus‘, die AC/DC unbefangener Lebensfreude und gleichzeitig ultracharmante Besiegler des Untergangs des kulturellen Abendlandes. Scooter in der Musiktherapie. Gleichzeitig sind die Vier die freundlichsten Gesellen auf Gottes Erdboden. Mit Nudelpackung-Beats-gestützten Hits wie „Heirat‘ nicht (das Leben ist so schön)“ oder „Setzen Sie sich wieder richtig rum hin“ bringen sie ein zunächst kurzfristig konsterniertes, dann ihnen „Malle“-artig zu Füßen liegendes Publikum auf ihre Seite.

Nach Die lebende Dosis habe ich es mit meinem Zeug freilich nicht leicht. Befriedigt und erschöpft verlässt das zahlreiche Publikum das Stockwerk, und ich beginne mein Set vor einer mehr als überschaubaren Anzahl an Zuschauern. Jan steht mir vorher hilfreich beim Soundcheck zur Seite. Trotzdem gibt es beim Auftritt unvorhergesehene akustische Probleme, die es mir und dem Publikum schwer machen. Bei der Monitorbox sind die Höhen kaputt, als Folge höre ich mein eigenes Set entweder als Rumpeln oder manche Spuren oder Klänge gar nicht. Stattdessen streut es gehörig Geräusche von den Veranstaltungen im Hof draußen ein.

Mein Schicksal ist besiegelt, als Jan, der bis dahin saubere Arbeit geleistet hat und alle Probleme abfing, gehen muss, weil er selbst mit Krankheit der Jugend im unteren Stockwerk auftreten muss. Ein nicht ganz so der Mischtechnik holder Ersatzmann kommt stattdessen zum Einsatz. Pierre Gattinger, einer der Macher des Heilbronner Mobilat-Clubs wird mir später erzählen, dass der er neue Mann am Mischpult lieber mit dem Handy telefonierte, während ich mit Soundproblemen im Brummen und Feedbacken unterging:

Soundprobleme bei "Strategien":


Meine Gitarre geht beim Zupfen in ein aufbäumendes Brummen über, mich hört man gar nicht mehr und ich kann nicht mehr tun als während „Saugglockenarchiv“ hilfesuchend zum neuen Mischer zu schauen, der keinen Blockkontakt zur Bühne übt. Es bringt nix, ich schmeiße die leisen Tracks aus dem Programm und setze auf die Sampler-gestützten Sachen. Mit Todesverachtung ziehe ich mein Soundkatastrophen-Set vor einer handvoll Publikum durch.
Immerhin geht eine neue, sehr dynamische Version von „L’Age d’or“ per Loopstation über die Bühne, dazu eine Gabber-Version von „Land ohne Brot“.



Land ohne Brot - "Gabberversion":


Nach mir folgt der großartige Songwriter Marek aus Berlin mit seinem Projekt Spiegelreflex. Er beginnt mit einer ergreifenden Coverversion von „Loss Leader“ von Codeine. Marek spielt fragile, überirdisch-langsam strahlende Songs ganz in the vein of codeine und kaum einer, eigentlich niemand, hört zu. Nur der Sound ist besser. Beim Soundcheck vorher unterhielten Marek und ich uns kurz über die Band The White Birch die sich nach einem Codein-Album genannt hat. Von The White Birch gibt es auf ihrer MySpace-Seite eine tolle Coverversion von Prince‘ „Purple Rain“ zu hören).

Spiegelreflex: "Der nächste Streifen":


Marek hat mir erlaubt, seinen Song "Der nächste Streifen" in meinem Blog als Download einzustellen. Mehr auf der Spiegelreflex-Myspace-Seite.

Nach dem Auftritt zeigt sich die Anstrengung des heutigen und der letzten Tage. Ich bin sehr, sehr müde. Mir gelingt, noch ein paar Minuten von einem sehr überzeugenden Auftritt von
Krankheit der Jugend zu erhaschen. Danach kann ich mich kaum noch wachhalten. Wir brechen auf, tragen die Gerätschaften durch einen dichten Menschenpulk nach draußen. Wir übernachten bei meinem Bruder Reinhard. Ein dunkler Gott will, dass er sein Sport- und Kulturmanagement-Studium in Künzelsau ableistet. Mein Bruder ist der einzige Mensch, den ich kenne, der in Besitz einer Soundanlage mit integriertem Minidisc-Player ist.

Die Rückfahrt nach Künzelsau ist von Auftritts-Analyse und Selbstkritik geprägt. Ich bin nicht glücklich. Ein guter Auftritt war das nicht. Was mir auch nicht gefällt: Wenn ich alleine auftrete, muss ich so viele Parameter im Blick behalten und so viele Knöpfe drücken, dass mich das Publikum gar nicht mehr als Textsteller erlebt sondern eher als eine Art ständig an Knöpfen fiddelnder DJ. Auch gelingt es mir nicht mehr, Blickkontakt zum Publikum aufzubauen. Ich glaube, rein psychologisch steht nicht mehr der Text in der Mitte der Publikumswahrnehmung, sondern aufgrund meiner visuell eben nachverfolgbaren ständigen Live-Bedienung von Gerätschaften und Knöpfchen eher so eine Art undifferenzierte Gesamtperformance. Nein, das ist nicht das, was ich machen möchte. Hier muss sich noch etwas tun. Entweder ich brauche eine zweite Person, die mich – und das Publikum – von dem Live-Getriggere entlastet, oder ich muss einfach mehr üben, um eine Beiläufigkeit in das Bedienen der Apparatschaften zu bringen.

Auf der Rückfahrt, völlig übermüdet und in Post-Auftritts-Trance, überfällt mich, der ich hinten auf dem Autorücksitz mit durch die Nacht düse, ein kleiner Nostalgieflash. Mit Heilbronn sind so viele Erinnerungen auch an ganz früher verbunden, dass in meinem vom Schlaf wie mit Mullbinden umwickelten Kopf traumartige Erinnerungen an ausgerechnet meine Zivildienstzeit aufflackern. Damals auch im sogenannten „Patientenbegleitdienst“ im Aalener Krankenhaus eingesetzt, war es an der Tagesordnung, ständig in allen Krankenhausabteilungen anzurufen.

Vielleicht lag es auch daran, dass ich noch sehr jung war, aber es bereitete mir damals eine große Freude, immer wieder die selben Namensmeldungen durch den Telefonhörer branden zu hören, immer ausgesprochen in der der jeweilgen Person zu eignen Betonung. Klangketten, Rhythmen, Mantren. In der Isotopen-Abteilung meldeten sich in der Regel immer zwei Damen im Wechsel. „Glöck – Isoptopen?“ und: „Isotopen – Gaupp?“ Das helle Click des Glöcks und das bouncende, bassige Gaupp verweben sich mit dem rythmisch festen, durch durch seine Vokale vollen „Isotopen“ jetzt, hier im Auto unterwegs von Heilbronn nach Künzelsau, in meinem schläfrigen Kopf zu einem rhythmischen Lautgeflecht, Glöck, Isotopen, Isotopen, Gaupp. Mit jedem Klang blitzt ein Gesicht auf, das Mantra zerwirbelt die Erinnerungen in einen Klangcode. Völlig übermüdet, muss ich doch unwillkürlich lächeln.

Im Zimmer meines Bruders sehe ich vor dem Zubettgehen ein Foto meines vor wenigen Wochen verstorbenen Vaters.

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